Soundsoviel hunderttausend Meter über dem Atlantik schaue
ich Merida und werde sanft schläfrig geschaukelt. Der Actionfilm davor hat mich
noch abgelenkt, während der Disneymovie meine Gedanken weckt. Schon verspannt -
noch drei Stunden Flug bis Heathrow.
In den letzten Tagen wollte ich eigentlich noch so viel erledigen, so viel sehen und
machen. Stattdessen hat New York mal wieder für mich entschieden, was das
Richtige für mich ist.
Bestens gelaunt mache ich mich nach dem Packen mit Kamera
bewaffnet auf den Weg zur Highline. Ich will noch einmal diesen Park lang
laufen, in dem ich so oft war und so selten Fotos gemacht habe. Von dort will
ich Richtung East Village, noch ein paar Besorgnungen machen, mir ein Andenken
in Schmuckform kaufen und einen Gutschein einlösen. Natürlich kommt alles
anders als geplant, sonst wäre es nicht das New York, das ich kenne.
Nachdem ich die ganze letze Woche frei hatte, weil ich meine
Überstunden abgefeiert habe, hatte ich dennoch nicht das Gefühl die Zeit für
New York bestmöglich genutzt zu haben. Ich war immernoch nicht bei der
Freiheitsstatue, auf keinem Boot, nicht auf Staaten Island oder Roosevelt Island
und den Brooklyn Flea Market habe ich auch beim dritten Anlauf nicht gefunden. Ich
hatte das Gefühl, immer wenn ich etwas touristisches unternehmen wollte, kam
etwas menschliches dazwischen. Statt in Museen zu gehen, habe ich über
Rassismus in den Vereinigten Staaten gelernt, oder zumindest versucht zu
lernen, denn wirklich verstehen kann ich es nicht. Es ist für mich nicht
nachvollziehbar, warum meine Freunde in manchen Vierteln Manhattans von
huschenden Augen gestreift werden. Augen, die sie scheu und skeptisch ansehen
und sich in den Augenhöhlen auf und ab bewegen, diese Anstrengung auf sich
nehmen, weil der Kopf sich nicht traut sie so offensichtlich
anzusehen und sich lieber auf die eigenen Hände fokussiert. Lippen, die schmal
werden, weil sie unausgesprochene Gedanken beherrbergen.
Ich will nicht sagen, dass ich dieses Phänomen gar
nicht kenne, to be honest, wir erleben es fast jeden Tag, wenn wir in
Deutschland Stereotypen Vorstellungen Ausländern in Deutschland gegenübertreten
und sie teils selber aussprechen oder danach handeln. Manchmal merken wir es
nicht mal, dass wir es tun. Dies aber mal, wenn man so sagen mag, von außen zu
betrachten, kam als Schock für mich. Und vielleicht fange ich an zu verstehen,
was Erziehung und Umfeld bei einem selbst auslösen können. Ich wünschte mir
jedoch, dass man jeden Menschen als Individuum wahrnimmt, herausgelöst vom
Aussehen. Natürlich ist das nicht möglich, aber man kann darüber hinaus sehen,
dem Menschen in die Augen sehen und mehr sehen, als Hautfarbe, Klamotten oder
Religion. Ich hoffe, dass mir das zukünftig noch öfter gelingt, dass ich
weiterhin versuche den Menschen zu sehen, der hinter all dem steckt, wozu er
kein zutun hat.
Wie sind wir auf dieses Thema gekommen? Anders als im
Gespräch kann ich es nachverfolgen und hier den Bogen wieder zu meinen
Touristlife-Versuchen lenken, die so planlos sind, dass sie nur schiefgehen
können. Von einem Tag in Midtown bis Central Park, der eigentlich Sonnenbrillen
und Zuckerwatte bereithalten sollte, bin ich bei FAO Schwarz gelandet mit
Cotton Candy Ice Cream Kügelchen, die aussehen, wie Zuckerkugeln und erst im
Mund zu Creameis werden. Verrückt. Von da zum Book Launch unserer Kuratorin
Clara Meister im Goethe-Institut und dann spontan nicht zum Essen mit den
Goethe Leuten, sondern zum Venezueler und weil es doch erst halb zwölf war und
der Hobbit nachts um 24.01Uhr anlief - den auch noch gesehen. Klar ist es
unmöglich dabei wirklich wach zu bleiben, aber ich habe in den letzten Tagen
das Gefühl gebraucht, was zu machen, und wenn es schon nicht touristisch ist,
wenigstens die Stadt zu leben, zu nutzen und voll zu erleben. Und für mich hat
seit drei Monaten Spontanität und Planlosigkeit eine enorm große Rolle darin
gespielt.
So laufe ich also die Highline in meinem Manhattan-pace
entlang. Determined tolle pictures vom Sonnenuntergang über dem Hudson River zu
machen und ende damit, dass ich Fotos von einem anderen Touri mache, der gerne
vor einem Zebraplakat abgelichtet werden wollte. Ich weiß bis jetzt nicht, was
daran erstrebenswert ist, sich neben einem pikturesken Halbpferdehintern
wiederzufinden, but then, this is NYC, you don’t have to know, just take it as
it is. (Noch so ein Spruch, neben dem lapidar dahergesagten: „It’ll be fine“).
Da auch ich mich zum ersten Mal in Tourimode befand und absolut schmerzfrei
meine Kamera alle halbe Minute gezückt habe, wollte ich natürlich wissen, wo
der seltsame Mann mit dem komischen Akzent herkommt, der über die Highline
schreitet, als gehöre sie ihm. Es stellt sich heraus, der Mann, der sich River,
Jeff oder sonst wie nennt, ist kein Franzose, wie ich annahm und auch kein
Fotograf. Er ist Designer aus Texas, der an der Westcoast wohnt und in New
York hin und wieder arbeitet. Die Highline endet bei einem Biergarten und da
ich ja deutsch bin, wurde ich direkt eingeladen Jeff und seinen Freunden
mitzuteilen, wie deutsch denn dieser Biergarten tatsächlich ist. (An diesem
Punkt habe ich es aufgeben immer wieder zu wiederholen, dass ich zwar deutsch
bin, aber kein Bier trinke, und seltenst in Biergärten gehe. Denn das glaubt
mir hier eh kein Mensch.) Da meine Regel des nicht Nein-Sagens bis zum letzten
Tag Bestand hatte, habe ich die Einladung natürlich mit einem freundlichen Yes
angenommen und durfte einen befreundeten Fotografen kennenlernen, den man in
vielen Bars und Clubs Manhattans mit Vornamen anspricht und ein befreundetes
Model, das zugleich umwerfend schön und normal nett aussah und mich trotz
ausgelatschter Winterschuhe, zerschlissener H&M Jeans und crazy hair nicht
einmal abwertend ansah. Sehr anständig. Bei so netter Gesellschaft lässt es
sich dann auch gut essen und feiern, und so kam es, dass meine Pläne, für den
von Corinna nicht zu unrecht gehypten Electric Room, in Vergessenheit gerieten. Fazit,
ein Abend, drei neue Freunde, Erfahrungen und Gespräche, die ich sonst nicht
gemacht und geführt hätte und ein Designer T-Shirt ;) Guter letzter Abend würde
ich sagen. Der nur noch vom nächsten Tag gekrönt wurde, an dem mich drei Freunde
zur U-Bahn bzw sogar zum Flughafen gebracht haben, weil sie nicht mit ansehen
konnten, wie ich mich mit meinen schweren Koffern abgeschleppt habe.
Nach einem Lunch mit Audrey auf unserem Rooftop, bei dem mir
die Sonne ins Gesicht lachte und Audrey in meine Augen, ich noch ein paar
Turnübungen und Happydancemoves zum Besten geben konnte, musste ich auch am
Flughafen feststellen, dass es mir doch
leichter fällt zu gehen, als ich gedacht hatte. Na klar, ist es schade, diese
unglaubliche Stadt zu verlassen und all die Menschen, die mir ans Herz
gewachsen sind. Aber, der Fakt, dass ich nicht weg wollte, dass ich diese
Menschen unbedingt wieder sehen will und dass es mir auch schwer fällt zu
gehen, hat mich so unglaublich glücklich gemacht, dass für Traurigkeit kein
Platz war. (Spoiler Alert: Jetzt wird es amerikanisch kitschig). Ich hab mich
so lebendig gefühlt und mein Herz so voll von allem. Ich nehme diese
großartigen und teils harten Erfahrungen, diese starken Emotionen mit, sie
gehören mir, das kann mir niemand nehmen. Und so wie ich die Menschen um mich
verändert habe, haben sie mich verändert und ich hoffe einen Teil davon
mitnehmen zu können. Und die Tür nicht meinem Hintermann ins Gesicht schlagen
zu lassen, sondern sie freudestrahlend aufzuhalten und einen nice day zu
wünschen, auch wenn ich dafür verwunderte Blicke ernten werde. Ich werde
weiterhin Menschen auf der Straße kennenlernen, eine Verbalhure sein und das
Leben leben wie es kommt. Im Moment leben. Und die Menschen, die mich dafür mit
Unverständnis ansehen, muss ich nicht in mein Leben lassen. Die aber, die mich
dafür umso interessanter finden, die möchte ich kennenlernen. Und so hoffe ich,
dass Wiesbaden bald nicht mehr eine gesichterlose Stadt für mich ist in der
bislang nur ein Gesicht zählte, sondern dass es eine Geschichte erzählt,
Kurzgeschichten, Romane, Dramen, vielleicht auch Tragödien, denn auch daraus
lernt man. Ich bin neugierig, gespannt, was die Zukunft zu bieten hat, während
ich versuche das Beste aus dem Jetzt zu machen, da man nie weiß was morgen sein
wird.
Ich habe keine Angst mehr, davor keinen Job zu haben, davor
nicht zu wissen, was ich machen oder werden will. Ich bin bereits jemand, ohne
dass ich einen Beruf ausübe. Ich habe eine Geschichte zu erzählen, der man
zuhören kann oder sie erleben kann, wenn man sich die Zeit nimmt sie mit mir
weiter zu schreiben. Ich lade euch alle dazu ein nicht nur Leser zu sein,
sondern weiterhin Autoren in meinem Leben, die ihr ohnehin schon seid. Ihr seid
bereits Teil der Geschcihte, die deshalb auch so interessant für euch zu lesen
ist.
Und so wie diese Geschichte verschiedene Kapitel hat und
noch lange nicht bei „und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“
angekommen ist, ist auch diese Reise nur ein Teil einer größeren. Ich glaube
nicht, dass mich dieser Abschnitt radikal verändert hat, sondern mir eher
gezeigt hat, wer ich bin, was in mir steckt, was ich liebe und wer ich sein
kann, wenn nicht mein Umfeld mir den subjektiven Spiegel vorhält und zeigt was
sie in mir sehen. Neue Menschen, neue Stadt, neue Sichtweise. Und wenn es nur
simple Dinge sind, wie dass ich hier für drei Monate mal nicht normal bis
leicht übergewichtig war, sondern fit und schön und fast dem Idealtypus
entsprach. Eine absolut neue Erfahrung für mich, die ich sehr wertschätze.
Eindeutig mehr als Begrüßungsfloskeln, die meine Gewichtszunahme betonen oder
lieb gemeinte Offenbarungen, wie dass ich Kartoffelstampferwaden habe. Ich liebe euch alle, so wie ihr seid, auch wenn ich dies viel zu
selten betone und Liebe hinter Sarkasmus verstecke. Ihr seid Einzigartig und in
jedem von euch, sehe und schätze ich etwas, das mich fasziniert. Das auslöst,
dass ich mich trotz einzigartiger drei Monate ausgelassen tanzend auf euch
freue und bis jetzt keine Träne fließen lassen musste, dass ich zu euch zurückkehre.